Pionierarbeit in der Audiologie in Brasilien
Beatriz Novaes prägt die Audiologie in Brasilien seit Jahrzehnten. Auch im Advisory Board der Hear the World Foundation setzt sich die Professorin für ihre Herzensanliegen ein: eine qualitativ hochstehende und frühzeitige Versorgung von Kindern mit Hörverlust.
Es war eine inspirierende Mischung: Der Vater von Bia Novaes – wie sie von allen genannt wird – war Ingenieur, ihre Mutter Künstlerin. Aufgewachsen in São Paolo in Brasilien, ermöglichte dies der mittleren von drei Töchtern Einblicke in verschiedene Welten. So konnte sie sich als Jugendliche verschiedene berufliche Wege vorstellen, etwa ein Studium der Mathematik oder Medizin. Als eine Freundin der Familie sie eines Tages an ihren Arbeitsplatz im Spital einlud, um ihr die Tätigkeit als speech pathologist and audiologist vorzustellen, war der Fall für Bia allerdings schnell klar: «Das war es. Diesen Beruf wollte ich erlernen, um damit das Leben insbesondere von Kindern mit Hörverlust zu verbessern.»
So begann sie 1975 mit dem Studium der Fonoaudiologie. Es war die Zeit, als in Brasilien die ersten Cochlea Implantate und Hörgeräte auf den Markt kamen – wobei das Unternehmen Phonak einer der ersten Anbieter war. Zu Beginn waren es noch body-worn Hörgeräte. Diese befestigte man an der Kleidung oder in einer Tasche und trug nur die Kopfhörer im Ohr. Noaves erlebte die ganzen technischen Entwicklungen mit, denn nach einem Masterabschluss in speech therapy zog sie nach New York, um an der Columbia University in Audiologie zu doktorieren.
Technik allein reicht nicht
Seit 1994 ist Bia Novaes Professorin für Audiologie an der Pontifical Catholic University of São Paulo. Gleichzeitig ist sie an öffentlichen und privaten Spitälern der Stadt klinisch tätig. Forschung zur Verbesserung der Hörversorgung und Sprachtherapie und die praktische Tätigkeit mit Kindern und später auch erwachsenen Menschen mit Hörverlust haben sich bei ihr immer ergänzt.
Ihr Wunsch ging dabei in Erfüllung: Sie konnte Kindern auch mit schwerem Hörverlust helfen, sodass diese sprechen lernten und von der Gebärdensprachschule in die reguläre Schule wechseln konnten. «Technologie allein genügt dazu nicht. Wichtig ist vor allem auch, die Eltern einzubeziehen und die Kinder und ihre Familien langfristig zu begleiten und etwa Sprachtherapie zu ermöglichen», sagt Novaes.
Kulturelle Unterschiede beachten
Ein besonderes Anliegen war ihr immer auch die Arbeit mit Familien mit geringem Einkommen. Die Hürden, die es dabei zu überwinden gilt, sind noch grösser – etwa wenn Betroffene in ländlichen Regionen wohnen und eine lange Anreise zur Klinik haben. Ausserdem brauche es bei ärmeren Familien mehr Überzeugungsarbeit und Schulung, um den Eltern aufzuzeigen, wie entscheidend Spracherwerb und Schulbesuch für das weitere Leben ihrer Kinder sind: «Solche kulturellen Aspekten zu berücksichtigen ist sehr wichtig.»
Zu Beginn waren es oft private Spenden, die bei Familien aus bescheidenen ökonomischen Verhältnissen eine Versorgung mit Hörgeräten möglich machten. Novaes setzte sich aber auch erfolgreich dafür ein, dass in Brasilien ab 2004 staatliche Programme entstanden, um den Zugang zu audiologischer Versorgung zu ermöglichen und öffentlich zu finanzieren.
So konnte Bia in den vielen Jahren zahlreichen Kindern mit Hörverlust helfen. Die schönste Belohnung ist für sie auch heute noch, wenn etwa ehemalige Patienten ihr Fotos von ihrem Schul- oder Universitätsabschluss zusenden. Die Beziehung mit den kleinen Patienten ist oft so vertraut, dass sie zu Hochzeiten und Geburtstagen eingeladen wird. «Es ist toll, erleben zu dürfen, wie frühe Intervention solche beruflichen Wege möglich machen kann.»

Etwas anderes als eine Brille
Bia Novaes ist bis heute eine der prägenden Figuren in der Audiologie in Brasilien – etwa als vormalige Präsidentin der Academy of Brazilian Audiology. Seit zehn Jahren engagiert sie sich auch im Advisory Board der Hear the World Foundation. «Was ich an der Stiftung so schätze, ist, dass es nicht nur darum geht, Geld zur Verfügung zu stellen für Hörgeräte. Das Ziel der Stiftung ist es, den Menschen wirklich eine qualitativ hochstehende Versorgung zu ermöglichen.» Das sei umso wichtiger, als völlig klar sei: «Wenn man den Betroffenen nur Hörgeräte gibt und sie damit allein lässt, bleiben die Geräte schnell in der Schublade liegen und man hat nur Geld verschwendet.» Die Hear the World Foundation sorge für eine nachhaltige Wirkung, indem sie die Betroffenen und ihre Familien auch dabei begleitet, dass die Kinder das Hören lernen können. «Das ist zentral, denn ein Hörgerät ist etwas komplett anders als eine Brille.»
Umso motivierter ist Novaes, im Advisory Board der Hear the World Foundation Projekte aus aller Welt zu begutachten, die dieselbe Wirkung wie sie in Brasilien erlebt hat auch in anderen Ländern erzeugen wollen. «Die Stiftung ist mit ihrem nachhaltigen Ansatz auch für die Zukunft auf einem guten Weg», sagt Novaes.
Sie selbst ist mit 68 Jahren immer noch aktiv in der Forschung und klinisch tätig. Ein besonderes Anliegen ist ihr, dass mehr junge Menschen sich für den beruflichen Weg in die Audiologie entscheiden – denn es bestehe Mangel. Neben ihrer Arbeit an der Universität und an Spitälern berät sie unter anderem das brasilianische Gesundheitsministerium in Fragen der public policies for people with disabilites und engagiert sich in weiteren Organisationen.
Ihr Herzblut ist und bleibt: eine qualitativ hochstehende und frühzeitige Versorgung von Kindern mit Hörverlust.